Was wäre der Mensch ohne Telefon? Ein armes Luder. Was aber ist er mit Telefon? Ein armes Luder. Diese Betrachtung stammt von Kurt Tucholsky. Er ist 1935 gestorben. Was würde der heute schreiben?
Ich sitze in Wien in der U 1. Rundherum ein beständiges Geklingel. Eigentlich kein Geklingel, den der Geräuschpegel reicht vom Radetzkymarsch über flapsige Synthesizer-Töne bis zum elektronischen Muhen einer Kuh. Von den ca. 40 Fahrgästen im vollgestopften Wagon haben 10 das Handy am Ohr und erzählen ihrem imaginären Gegenüber selbstvergessen, zum Teil recht intime Dinge. Zirka zwanzig der Sitzenden betrachten das Smartphone gebannt mit gesenktem Haupt, als sähen sie darin die Geheimnisse des Universums erscheinen. Mehr als 60 % der Anwesenden tragen Jeans fällt mir auf. Diejenigen die ihr Handy in der Tasche haben und über Kopfhörer Musik hören sind merkwürdigerweise fast alle mit einem Sweater mit Kapuze bekleidet. Der Rest der Jeansträger ist weniger uniform mit Fleecejacken, Anoraks und Sakkos ausstaffiert. Geschätzte 40 % tragen bunte Sneakers. Die Welt ist uniform geworden, wie ein Ameisenstaat, ferngesteuert von den Duftsignalen einer wahnsinnig gewordenen Ameisenkönigin. Aber gut, denke ich, in Rom gab es eben auch nur die Tunika, die man bei alltäglichen Geschäften trug. Nur die Senatoren trugen Toga mit breiten Purpurstreifen und nur ihnen war es erlaubt rote Schuhe mit einer Elfenbeinsichel als Schmuck zu tragen und einen goldenen Ring. Also auch nicht viel besser. Dann fällt mein Blick auf meine eigenen Beinkleider: Jeans. Und im selben Moment höre ich einen vertrauten Klingelton. Ich sehe mich um, wem das wohl gilt. Dann wird es mir bewusst – es ist meins.