Das Radio war schwarz. Das Gehäuse bestand aus einem Material, das Bakelit hieß. Hinter einem vergilbten, beigen Gewebe zeichnete sich im oberen Teil des Gerätes die Rundung des Lautsprechers ab. Und in der Mitte war das, was mich als Kind am allermeisten faszinierte: Die Libelle. Ein grünes Licht, das geheimnisvoll zu flackern begann, wenn man an dem großen Knopf auf der linken Seite drehte. Dann huschte ein ebenfalls beleuchteter Zeiger eine Skala entlang, auf der Namen von Städten standen, die mich damals eine unfassbar große Welt voll von Unbekanntem und Geheimnisvollem erahnen ließen, eine Welt, die weit über meine kleines behütetes Dasein hinauswies: Paris, London, Milano, Bordeaux. Damals war es meine Lieblingsbeschäftigung, an den Knöpfen des Radios zu drehen. Es gab seltsam pfeifende Geräusche, wenn man einen Sender suchte und fremde Sprachen, verrauscht und verhallt waren zu vernehmen. Auf einem Sender las eine männliche Stimme stundenlang Zahlenkolonnen, deren Sinn sich mir nie erschloss. Und dann gab es die Nachrichten. Da wurde es schon vertrauter, denn manchmal war auch von Linz die Rede und da war ich schon einmal, und in dem Moment fühlte ich mich bedeutend. Bald war der Nachrichtensprecher jemand, den ich kannte. Nicht persönlich natürlich, aber er war so, als wäre er einer unserer Nachbarn. Er erzählte von Dingen, von denen ich bei weitem nicht alles verstand, aber er schien irgendwie aus der Nachbarschaft in unser Wohnzimmer zu sprechen. Und ich versuchte zu ergründen, woher seine Stimme kam. Zuallererst schaute ich natürlich hinten durch die Löcher der Rückwand. Aber, da war außer einer Menge Glasröhren, die seltsam schimmerten, nichts, was die Stimme erklärte. Es war wunderbar nicht zu wissen, wo er sich verborgen hielt. Irgendwer, ich glaube es war mein Vater, versuchte dann mir die Zusammenhänge und den technischen Hintergrund zu verdeutlichen. Aber für einen Vierjährigen ist Physik unverständlich. Zwei Jahre später, zu Ostern 1959, kaufte mein fortschrittlicher Vater ein Fernsehgerät. Es war das erste im Dorf. Das war eine Sensation.
Eine meiner ältesten Patientinnen hat mir folgende Geschichte erzählt: Sie arbeitete als Magd auf einem Bauernhof in der Nähe von Hartkirchen und es muss um das Ende des Jahres 1934 gewesen sein, als sie am Sonntag von einem Besuch im Ort zurück kam. Die große Stube des Bauernhofs war voller Leute, Bauern aus der Umgebung, die angespannt in eine Ecke starrten. Von dort hörte sie eine ihr unbekannte Stimme, aber niemand war dort in der Ecke zu sehen. Nur ein kleiner schwarzer Kasten stand dort und es schien, dass die Stimme aus diesem Kasten kam, wie sie einigermaßen verblüfft feststellte. Man ließ sie als Subalterne im Unklaren, was da vor sich ging. Erst auf ihre leisen drängenden Fragen erklärte man ihr, das sei ein Radio. Ein Gerät, mit dem man Wellen aus der Luft fischen konnte, die in Wien erzeugt wurden und auf diesen Wellen kämen die Stimmen direkt ins Haus und das sei der berühmte Politiker und Bundeskanzler Schuschnigg der da spräche. Sie sei mit offenem Mund eine Weile gestanden und hätte nichts begriffen. Ein alter Knecht, sei dann aufgestanden und hätte im Brustton der Überzeugung gesagt:“ Jetzt kann man die Leut‘ aus Wien nur hören, aber bald, in ein paar Jahr, wird man sie auch sehen können“. Dann ging er hinaus. Der Bauer, Hof- und Radiobesitzer , sah ihm mitleidig nach, fuchtelte mit der Hand vor dem Kopf herum, um zu verdeutlichen, was er dann, an die anderen gewandt, sagte: „Der spinnt a wengl , der Franzl.“
Am 12. Dezember 1901 gelang Guglielmo Marconi erstmals die transatlantische Übertragung eines Funksignales von Amerika nach England. Es waren gerade einmal drei Morsezeichen: Piep Piep Piep. Die Geschichte des österreichischen Rundfunks begann 1920 mit dem privaten Versuchssender Radio Hekaphon. Heute gibt es kein Haus ohne Fernsehen, kein Kind ohne Smartphone. Manchmal wird mir bewusst, wie dramatisch technische Entwicklungen die menschliche Existenz beeinflussen und in eine bestimmte Richtung lenken. Wohin es geht, können wir höchstens ahnen. Ob gut oder schlecht, wird erst die übernächste Generation beurteilen können.
Was sind wir doch für kluge Affen.
Ich erinnere mich sehr gut an die Zeit, wo es bei euch den ersten Fernseher im Dorf gegeben hat. Wir durften ja nicht fernsehen, aber unsere Lini ging immer an gewissen Samstagen zu euch um die Löwinger Bühne zu sehen. Ein Highlight in damaligen Zeiten und genügend Gesprächsstoff für die sog. Priviligierten.
In Zeiten wie diesen, erlebe ich meinen 3jährigen Enkel, der mich eigenständig per FaceTime anruft. Auf meinen Hinweis:“ Ben ich kann nur deine Haare sehen!“ – er mir zur Antwort gibt:“ Oma, dann musst du dein Smartphone besser halten.“
Ich bin sehr guter Hoffnung, dass auch die nächste Generation den enormen Fortschritt unbeschadet übersteht, so wie wir diesen damals – in grauer Vorzeit – auch einigermassen gut überstanden haben.
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