Das wichtigste Anliegen der Aufklärung war es, die Segnungen des christlichen Abendlandes zu überwinden. Sprich: Sich von der Bevormundung und Unterdrückung durch den Klerus und den von diesen zu gottgewollten Herrschern erklären Adeligen zu befreien. Als dieses, mit viel Blut und Grausamkeit gegenüber ihren Untertanen, von Seiten der Kirche und der Adeligen geschriebene Kapitel abgeschlossen war und damit die ehemals Mächtigen auf das reduziert wurden, was gesellschaftliche Entwicklung und Wissenschaft von ihnen übrigließen, blieb der Begriff christliches Abendland nur mehr in Anführungszeichen bestehen. Nun eher als im Nachhinein gesehener, historischer Überbegriff, für die, im Zusammenhang mit den Türkenkriegen entstandenen geographischen und geistigen Frontverläufe. Aber letztendlich, will keiner von uns zu jenen Zuständen zurück, die für das christliche Abendland charakteristisch waren. Einrichtungen wie den Absolutismus, die Kreuzzüge, die Inquisition, Leibeigenschaft, und Hexenverbrennungen – alles Erfindungen des christlichen Abendlandes – haben wir damit hinter uns gelassen. Aber jetzt wird der Begriff wieder ausgegraben und politisch Instrumentalisiert. Wie es scheint ist es aber nicht mehr als eine, mit Reminiszenzen aufgeladene, aber ansonsten leere Worthülse, in den Mündern einiger Polithasardeure, die Emotionen vor Geist stellen und darauf vertrauen, dass niemand darüber nachdenkt, wie qualvoll es war, dieses christliche Abendland hinter sich zu lassen und eine einigermaßen freie und demokratische Gesellschaft zu etablieren. Der Begriff Christlichkeit fungiert aber plötzlich wieder als Mutter aller Normen der europäischen Wertegemeinschaft und unverbrüchlich damit verbunden ist der Anspruch, den besseren Teil der Menschheit zu stellen. Man scheut sich also nicht, das was man sein will, durch das zu ersetzen, was man zu sein glaubt. Andererseits bemühen sich Vertreter eines fundamentalistischen Islams wie die Saudis, der IS oder Sultan Erdogan redlich, dieser Polarität zwischen Abendland und Morgenland mit all ihren zwiespältigen Erinnerungen, neue Nahrung zu geben. Und darüber wird rasch vergessen, dass hier wie da Religion politisch instrumentalisiert wird, um Menschen gegeneinander aufzubringen.
Ehe wir es realisieren sind wir mit einer neuen Geisteshaltung infiziert: Dem Antimohamedismus oder Antiislamismus, der die selben schrecklichen Folgen haben könnte wie der Antisemitismus.