Anthony, 5 Jahre alt, stammt vermutlich aus Sierra Leone und wurde von der italienischen Polizei schwer unterkühlt unter einem Eisenbahnwagon vor der österreichischen Grenze gefunden. Wie er mutterseelenalleine bis hierher gelangt ist, bleibt unklar. Welche Kraft den Knirps angetrieben hat, unter dem fahrenden Zug bis hierher durchzuhalten, werden wir nie erklären können. Unklar bleibt auch, welche psychischen Traumatisierungen dieses Kind für immer prägen werden. In Wien bringt sich ein 11 jähriger Junge aus Afghanistan um. Er ist mit seinen sechs Geschwistern in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht und hat sich um seinen Bruder gekümmert, der mit Trisomie 21 zur Welt kam. Sein Vormund, sein 23 jähriger Bruder, ist mit der Situation, für sechs Geschwister da zu sein und ohne ausreichende Sprachkenntnisse der österreichischen Bürokratie zu begegnen, wohl ziemlich überfordert. Irgendwann erträgt es der 11 jährige nicht mehr. Mit welchen Träumen, welchen Hoffnungen ist dieses Kind zu uns gekommen. Wer hat ihn so alleine gelassen, dass er keinen anderen Ausweg als den Freitod sah? Meine Nichte ist eine bildhübsche und taffe junge Frau, die mit ihren 18 Jahren mehr soziales Gewissen und mehr Initiative hat, als die ganze neue Regierung zusammen. Statt in Österreich das Leben zu genießen, arbeitet sie freiwillig in Rumänien mit Straßenkindern. Bei einem Marathonlauf in Bukarest nützt ihre Organisation die Gelegenheit, um mit den Kindern, die in Bukarest auf der Straße oder in der Kanalisation leben, Kontakt aufzunehmen. Sie und ihre Kollegen bauen einen Stand auf, wo Kinder sich schminken lassen können, um für eine kurze Zeit zumindest in der Phantasie dem Elend zu entkommen. Da kommt ein schmutzstarrendes bleiches kleines Mädchen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Vermutlich elternlos, lebt sie mit ihren größeren Geschwistern oder anderen Kindern in einem der Abwasserkanäle der Stadt, weil es dort zumindest einigermaßen warm ist und ernährt sich von Abfällen. „Was möchtest Du denn sein? “ wird sie gefragt. „Printesa“ sagt sie schüchtern. Das heißt Prinzessin.