Ich hab mir oft überlegt, wie ein Land wie Österreich funktionieren würde, wenn es keine Regierung hätte. Anarchie nennt man diesen Zustand. Heute als Begriff eher mit Chaos und Unruhen verbunden, aber tatsächlich bedeutet Anarchie, die Abwesenheit von Herrschaft. Gemeint ist damit die Abwesenheit einer Herrschaft, die mit repressiven Methoden ihre Macht ausübt. Machtverhältnisse, wie die Beeinflussung durch freiwillig angenommene Autoritäten oder Ratgeber sind mit Anarchie vereinbar, werden aber nicht durch Repression erzwungen. Insbesondere existiert in Anarchien keine lenkende Zentralgewalt, die durch Machtmittel wie Militär und Polizei Zwang auf die Bürger ausüben kann.
Anarchie ist ein Kind der Aufklärung, die Anerkennung des Individuums, Herr seiner selbst zu sein. Die Anarchie ist eigentlich eine Antwort auf das System der Ausbeutung im Kapitalismus und stellt letztlich die Frage nach der Moral des Menschseins, das ein Leben ohne Staat, Geld und Grenzen einzig auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit und Vernunft idealisiert. Das wäre zumindest der Idealfall der Anarchie.
Dass dieses System bereits etabliert ist, ist uns entgangen. Anarchie ist bereits Teil unserer weltweiten Wirtschaftsstrukturen. Die totale Freiheit von staatlicher Einflussnahme, vom Zwang Steuern zu zahlen oder sich an sonstige Verpflichtungen zu halten, vor allem die Freiheit von jeglicher Moral, gilt nämlich nur für große Unternehmen und Konzerne. Dort oben in den Gremien multinationaler Konzerne herrscht die große Freiheit. Kaum ein Staat ist noch in der Lage hier Kontrolle auszuüben. Im Gegenteil, die Konzerne sind ihrerseits in der Lage, staatliche Entscheidungen zu beeinflussen, sei es direkt, durch willfährige Politiker, durch massives Lobbying oder schlicht und einfach durch Erpressung. Da die Multinationalität es diesen Konzernen erlaubt Arbeitsplätze, Grundstoffe, Vermögenswerte und vor allem Geld nach Gutdünken und Erfordernis weltweit zu verschieben, ist kein einziger Staat der Welt mehr in der Lage, Kontrollfunktionen zu etablieren, die überhaupt einen Einblick in die Gebarung dieser Giganten erlaubt. Das führt dazu, dass in westlichen Demokratien sowieso nur noch Politiker, die in irgendeiner Weise mit den Konzernen kooperieren, an die Macht kommen oder wenn Sie unbotmäßig sind, von diesen entweder direkt (zum Beispiel durch einen kleine Flugzeugabsturz) oder durch wirtschaftliche Erpressung abserviert werden. Dass sie, wie in den CETA oder TTIP Verträgen ausgehandelt, inzwischen auf einer eigenen – nur für sie gültigen – Rechtsprechung beharren und sich damit eine Art Eigenstaatlichkeit anmaßen, ist uns ja nicht entgangen. Dass ein Großteil der Umweltschäden und des unglaublichen Raubbaues an der Natur alleinig auf Kosten dieser Konzernanarchie geht, ist uns allen klar. Aber niemand kann dagegen etwas tun, denn das von diesen undurchsichtigen und fast schon allmächtigen Gruppen manipulierte Weltkollektiv wählt erstaunlicherweise immer wieder Politiker, die ausschließlich der dunklen Seite der Macht nahestehen.