Jeder, der nicht rechtzeitig vor der Fernsehwerbung flüchtet oder zu müde oder zu faul ist, weiter zu zappen, muss manipulative Werbeeinschaltungen über sich ergehen lassen. Produkte aus dem Gesundheitsbereich fallen mir naturgemäß besonders auf. Vor allem, wenn ältere Damen durch eine schmerzlindernde Salbe so fit werden, dass sie mit ihrer neu gewonnenen Agilität in der Lage sind, ihren Hund zu drangsalieren, klingen bei mir die Alarmglocken – das entspricht einfach nicht der Realität. Fernsehbilder sind hypnotische Bilder. Die Kurzgeschichten, die sie uns erzählen, mögen auf den ersten Blick unwahrscheinlich, ja infantil erscheinen, verfehlen aber bei Betroffenen ihre Wirkung auf unbewusste Entscheidungsprozesse nicht. Der Trick ist es, mit Halb- und Unwahrheiten, mit wohlklingenden und vieldeutigen Fremdwörtern eine Scheinrealität zu konstruieren, in der sich die Zielgruppen des Werbespots auf die eine oder andere Weise wiederfinden. Ich erinnere mich an eine Werbung für eine Hautcreme für reife Haut, deren verjüngende Wirkung auf Chylomikronen zurückzuführen sei. Chylomikronen sind eigentlich jene mikroskopischen Cholesterin/Eiweiß- Kügelchen, die der Dünndarm an das Blut abgibt. Aber im weitesten Sinn sind alle emulgierten, also mittels eines Emulgators mit Wasser vermischten Fette gemeint, zum Beispiel Milch. Also jede Creme oder Salbe besteht aus Chylomikronen, die somit nichts Besonderes sind und auch keine sonderliche Verjüngungswirkung haben. Aber das Wort Chylomikronen klingt nach neuester wissenschaftlicher Erkenntnis.
Da gibt es Naturprodukte, die mit einem durch Hitze inaktivierten Bakterium allen Linderung bringen, die Bauchschmerzen haben oder furzen. Die wissenschaftliche Erklärung für die Wirkungsweise ist hanebüchen, aber die zufriedenen Gesichter der Schauspieler scheinen zu überzeugen. Viel mehr als ein Placeboeffekt ist mit Sicherheit nicht zu erwarten, denn abgetötete Bifidusbakterien können sich nicht – so wie die Werbung suggeriert – an entzündete Darmabschnitte anhaften und dort wie ein Heftpflaster den Darm schützen. Durch Hitze inaktivierte Bifidusbakterien können gar nichts, genau wie die Myriaden Bifidusbakterien und Hefepilze, die wir täglich mit unserer Nahrung aufnehmen nur relativ wenig am Gesamtmilieu in unserem Darm ändern. Das ist ausgemachter Blödsinn und die angeblichen wissenschaftlichen Studien, auf die hingewiesen wird, kann und will niemand von den Fernsehzusehern überprüfen. Ein zusätzlicher Trick ist, dass man den Einsatzbereich für das Präparat nicht näher eingrenzt. Bauchschmerzen sind ein diffuser Bereich und auch das Wort Reizdarm lässt viel Spielraum für therapeutische Polypragmasie. Dadurch erspart man sich die wesentliche Arbeit – nämlich die genaue Diagnose. Und dann suggeriert man mit dem metaphorischen Bild des Heftpflasters eine Heilwirkung. Beim Großteil der Menschen ist Placebo wirksam und damit kann man richtig viel Geld verdienen.
Auf ziemlich gleiche Art gehen auch Politiker vor, die ein Amalgam aus Verschweigen, Halbwahrheit und Lüge herstellen und damit ebenfalls eine Scheinrealität konstruieren. Ex-ÖVP-Klubchef und Nationalratspräsident Andreas Khol geht auch nicht auf die Diagnose ein, wenn er zur Verteidigung von Sebastian Kurz antritt. Denn dann müsste er negativ konnotierte Wörter wie Korruption, Betrug, Bereicherung etc. verwenden. Aber das hieße schon zu akzeptieren, dass es um ein Verbrechen geht. Ganz ähnlich wie Trump oder Berlusconi wirft er zuallererst den Begriff Hexenjagd in den Diskurs und der bedeutet, dass von den Inquisitoren der Kirche unschuldige Frauen der schwarzen Magie beschuldigt und grausam gequält wurden – somit sind alle Juristen der Staatsanwaltschaft und alle Journalisten, die sich mit dem Thema befassen perverse religiöse Fanatiker.
Dann relativiert er die Tatsachen und sagt im Ton der Entrüstung: Es stünden unangenehme Vorwürfe im Raum, von denen nichts bewiesen sei. Die Nachrichten seien aus dem Zusammenhang gerissen und hätten nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen.
Nun kann jeder, der einigermaßen zusammenhängende Gedanken fassen kann, dem Wortlaut der veröffentlichten Chatprotokolle entnehmen, dass da ganz offensichtlich eine Verschwörung aufgedeckt wurde, deren Ziel die Machtübernahme im Staat mit unlauteren Mitteln war. Wenn Kohl sagt, es sei nicht bewiesen, dann versucht er einen offensichtlichen Sachverhalt zu beschönigen. Es ist noch niemand verurteilt, wäre richtiger. (Aber das kommt schon noch). Seinen Wunsch, solche Nachrichten nicht an die Öffentlichkeit zu bringen, können wir hingegen alle verstehen, obwohl das bei Regierungsmittglieder in keiner Weise gerechtfertigt ist. Wer sieht schon gerne seine Parteigenossen als korrupte Schurken im Scheinwerferlicht.