Bericht von jenseits des Äquators

Vor mehr als 25 Jahren war ich zum ersten Mal im Inselarchipel der Malediven. Der Tauchsport begann damals gerade sich auszubreiten und neben den Wagemutigen auch die normalen Touristen zu erreichen. Damals waren die Riffe überall von unglaublicher Schönheit. Hart- und Weichkorallen, Gorgonen und Schwämme bildeten unterseeische Großstädte, die von einer unbändigen Fülle  von Lebewesen bevölkert waren. Und ähnlich wie in einer Großstadt konnte man als Taucher eine unglaubliche Betriebsamkeit beobachten. Die Anzahl unterschiedlicher Arten, aus denen diese Biotope zusammengesetzt waren, schienen unüberschaubar. Zwei Jahre später hatte ein ausgeprägter El Nino* für eine Wassererwärmung gesorgt und die oberen Korallenbänke waren zu unserem Entsetzen ausgebleicht und abgestorben. Wiederum zwei Jahre später hatten sich die Riffe zum Teil schon wieder erholt. Die Umweltproblematik wurde noch kaum thematisiert. Seither ist es zu einer kontinuierlichen Erwärmung der Meere gekommen. Das, was damals der El Nino auslöste, ist jetzt ein Dauerzustand und es wird schlimmer. Jetzt sind an vielen Stellen die Anzahl der Korallen und damit verbunden die der Riffbewohner drastisch zurückgegangen. In weiten Bereichen schwimmt man über Trümmerfelder. Dort, wo noch vor Jahren eine unfassbare Vielfalt herrschte und jeder Zentimeter Riff bewohnt war, schwimmen ein paar Doktorfische und Papageienfische über Kalkwüsten auf denen einzelne Tischkorallen übriggeblieben sind. Es sieht aus, wie eine ausgebombte Stadt, in der nur noch die Alten und Kranken zurückgeblieben sind und es ist erschütternd zu sehen, wie sich hier auf dem zerstörten Grund tausende braune Mönchsfische zu ihrem Paarungsritual versammeln, wie sie es seit Jahrtausenden tun. Sie wissen nicht, was ihren Nachkommen droht.

  Tropische Korallenriffe bedecken weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Meeresbodens. Nichtsdestotrotz beherbergen sie mindestens ein Viertel aller bislang bekannten Arten des Meeres. Diese Vielfalt resultiert daraus, dass Korallen im Zuge ihres Wachstums riesige Kalkstrukturen bilden, in deren vielen Höhlen, Gängen und Nischen wieder hunderttausende andere Meereslebewesen Nahrung und Schutz finden. Zu den Nutznießern der Riffe zählt aber auch der Mensch. Weltweit profitieren mehr als 500 Millionen Menschen aus 90 Ländern von den Ökosystemleistungen der Korallenriffe. Sie fischen in den Riffen, erholen sich beim Tauchen, leben vom Rifftourismus, vertrauen darauf, dass die Korallenbauten Wellen brechen und die Küsten schützen. Weltweit aber sterben die Korallenriffe. Mindestens die Hälfte von ihnen ist bereits verloren, aus regional unterschiedlichen Gründen. Auch hier im ehemaligen Taucherparadies sind die Ursachen erkennbar. Beim Apnoetauchen auf einer kleinen Insel im Gaafu Alif Atoll schwimmt man vom schneeweißen Strand  bis zum Hausriff über weite Felder von Trichteralgen. Sie sind ein typisches Anzeichen der Überdüngung. Jedes Jahr machen zigtausende Menschen, vorwiegend aus Europa, hier ihren Cluburlaub mit allem Komfort. Das Trinkwasser kommt aus einer Meerwasserentsalzungsanlage und die Abwässer… ? Tonnen von Fäkalien müssen wohl oder übel ins Meer geleitet werden. Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet. Ich nehme mich davon nicht aus.

Die Temperaturkurve des Weltozeans steigt, solange die globale Erwärmung anhält. Diese Gewissheit beruht auf der Tatsache, dass der Ozean den wirkungsvollsten Wärmespeicher im Klimasystem der Erde darstellt. Seit den 1970er-Jahren haben die Meere mehr als 90 Prozent jener Wärmeenergie aufgenommen, die auf menschengemachten Treibhausgasemissionen beruht, und haben sie in immer größere Tiefe eingelagert. Dadurch haben die Ozeane den Anstieg der globalen Oberflächentemperatur maßgeblich gebremst und spürbare Veränderungen des Erdklimas hinausgezögert. Erst wenn die Wassertemperaturen nicht weiter ansteigen oder aber sogar wieder sinken, kann die Menschheit von einem echten Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel sprechen.* Die Erwärmung der Ozeane zieht dramatische Veränderungen nach sich: Die Wassermassen dehnen sich aus, sodass die Meeresspiegel steigen und vor allem in den Tropen Küstenabschnitte mit Abermillionen Einwohnern bedrohen. Vor allem jene Menschen, die am wenigsten zur Erderwärmung beitragen. Gleichzeitig verliert der Ozean sein Lebenselixier Sauerstoff, weil wärmeres Wasser weniger Gase speichert als kaltes, Strömungen an Kraft verlieren und die windgetriebene Durchmischung durch eine stärkere temperaturbedingte Schichtung des Wassers abnimmt. Extremereignisse wie marine Hitzewellen treten häufiger auf. Parallel dazu verändert sich die Meereschemie: Seit Beginn der Industrialisierung haben die Weltmeere etwa ein Viertel der vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen aufgenommen. Infolgedessen ist der pH-Wert des Ozeans gesunken und das Meerwasser versauert, wodurch sich die Lebensbedingungen insbesondere für Meeresorganismen mit Kalkschalen und -skeletten verschlechtert hat.

Bei einem Transfer zum Inselflughafen Koodoo mache ich am winzigen Hafen der Insel einen Spaziergang. Das Ufer ist übersät mit Plastikmüll. Die flachen Strände sind voll mit Einwegflaschen, Plastiksandalen, Plastiksäcken und ähnlichem. Es hat keinen Sinn, sie wegzuräumen, es werden täglich neue angeschwemmt. Das Gleiche habe ich auf den Philippinen und auf Neuguinea gesehen. Millionen Tonnen Plastik schwimmen im Meer und jedes Jahr kommen Millionen Tonnen dazu.

Derzeit produziert die Welt zwei Mal so viel Treibhausgase wie Meer und Wälder absorbieren können und alleine die Menschen in der westlichen Welt verbrauchen pro Jahr 1,5-mal so viele Ressourcen wie nachwachsen können. Wir wollen uns aber nicht beschränken. Das Wirtschafts- und Produktionswachstum können wir nur aufrechterhalten, wenn wie weitermachen wie bisher. Das führt zu einer weiteren Überfischung der Weltmeere, zu Bodenverlust und Abholzung der Regenwälder. Davon abgesehen wären wir schon lange in noch größeren Schwierigkeiten, wenn es nicht gelungen wäre, durch Kunstdünger und Pestizide die Böden weit über ihre natürlichen Kapazitäten hinaus auszubeuten. Aber alles, was wir an Überschüssen erzielen, verbrauchen wir auch gleich wieder oder verfüttern Nahrungsmittel an Kühe, Schweine, Hühner und Schafe, die wir essen. Der Anstieg des Meeresspiegels wird nicht nur die Inseln im Pazifik und im indischen Ozean, die meist nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegen, treffen. Die Anbaufläche pro Kopf wird dadurch weltweit verringert und das bei ständig steigender Weltbevölkerung. Zusätzlich haben wir die Meere ausgeplündert und viele Arten bereits ausgerottet oder dermaßen reduziert, dass  ihr Überleben in Frage gestellt ist.     Wir töten ca. 73 Millionen Haie jährlich, also 139 pro Minute.   Sie werden meist als Beifang bei der Langleinenfischerei, bei der bis zu 130 Kilometer lange und mit bis zu 20000 Haken versehene Angelschnüre ausgelegt werden, getötet und wieder ins Meer geworfen.  Als Köder wird vielfach das Fleisch von Delfinen verwendet. Chinesische Fangschiffe schneiden den Haien bei lebendigem Leibe nur die Flossen ab und werfen sie wieder ins Meer.                                              

 Der vorgegaukelte Ausweg der Elektromobilität oder der Wasserstofftechnik erinnert an einen Patienten mit metastasierendem Lungenkrebs, der sich rasch noch das Rauchen abgewöhnen will.  Wir tun alle so, als würde das Fest ewig andauern und hoffen wie die kleinen Kinder, dass irgendwer alles regeln wird – dass nicht wir das tun müssen, dass nicht wir auf  unseren Komfort verzichten müssen. Die Verdrängung geht so weit, dass wir glauben, wir könnten mit technischen Mitteln einen zerstörten Planeten ersetzen. Immer noch fordern meist eitle, aggressive alte Männer, dass der Umweltschutz die Wirtschaft nicht gefährden darf. Gerade jetzt im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine fordern diese Verbrecher, dass der Staat Geld für die erhöhten Energiekosten der Industrie herausrücken soll, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und in Deutschland frohlockt die Rüstungsindustrie über das 100 Milliarden- Budget, dass Olaf Scholz versprochen hat. Gleichzeitig wird ein großzügiges Vorgehen bei den CO2 Flottenbilanzen der Autoindustrie angekündigt und in Österreich verlangen Industrielle die eben eingeführte, vollkommen unzulängliche Co2 Steuer gleich wieder zu Grabe zu tragen. Die Welt befindet sich in einem Wettlauf direkt auf den Abgrund zu, aber keiner will sich eingestehen, dass niemand gewinnen kann. Wir werden alle verlieren.                                                                                

Die dramatischen weltweiten Veränderungen der Korallenriffe sind für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar, weil sie sie nie zu Gesicht bekommen. Aber sie sind ein ziemlich präziser  Indikator für den Zustand der Welt. Ein junger Franzose, der mit uns unterwegs war, fand das, was von den Riffen der Malediven übrig ist, ganz toll, weil er nicht weiß, wie dass noch vor 25 Jahren ausgesehen hat. Meine Freunde die mit mir, seit bald 30 Jahren tauchen, haben den Ernst der Lage begriffen. Wir stehen direkt am Abgrund und nirgendwo, in keinem heiligen Buch, ist die Rede davon, dass die menschliche Art eine Garantie für oder einen Anspruch auf ihr Überleben hat. Auch wenn sie das derzeit noch zu glauben scheint.

* El Nino: Zwischen einem Hochdruckgebiet vor der Westküste Südamerikas und einem Tiefdruckgebiet vor der Ostküste Australiens zirkulieren in bestimmten Richtungen Winde, die sogenannten Passatwinde. Je nach Stärke des jeweiligen Druckausgleichs entstehen unterschiedliche Windgeschwindigkeiten. Parallel dazu kreisen kalte und warme Meeresströmungen. Die kalte Meeresströmung aus dem Süden wird Humboldtstrom genannt. Sie sorgt für ein ausgeglichenes Klima im Meer.

In einem El-Niño-Jahr bricht das Hoch zusammen. Dies geschieht immer im Südsommer, der heißesten Jahreszeit, und die ist auf der Südhalbkugel stets zur Weihnachtszeit. Durch den Zusammenbruch geraten die Winde außer Kontrolle und blasen teilweise mit erheblichen Geschwindigkeiten in entgegengesetzte Richtungen. Dadurch verändern sich auch die Meeresströmungen. Der Humboldtstrom wird abgeleitet und das Meer erwärmt sich mehr und mehr. Plankton und andere Meerestiere verenden.

*WOR7_de.pdf (worldoceanreview.com)

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