Jetzt wird wieder einmal per offenem Brief Österreichs Neutralität in Frage gestellt. Es heißt zwar, man wolle lediglich eine Diskussion anregen. Aber was wäre der Sinn der Diskussion, wenn nicht die Neutralität in Frage gestellt würde? „Unsere Neutralität – in der Praxis sehr flexibel interpretiert – wurde nie auf ihre aktuelle Zweckmäßigkeit überprüft, sondern zum vermeintlich unantastbaren Mythos erhoben“, heißt es recht suggestiv in dem Text der Initiative und zudem wolle man über eine neue Sicherheitsdoktrin für Österreich verhandeln.* Nun, die Fakten liegen auf dem Tisch. Österreich ist von NATO Staaten umgeben und als europäisches Land genießen wir auch einen Schutz durch die EU, an deren Verteidigungssystem wir ja schon jetzt mitwirken. Zugegeben, unser Bundesheer ist dermaßen abgefuckt, dass es fast schon wieder lustig ist. Ein paar alte Panzer, ein paar schon wieder veraltete Eurofighter, die in der Nacht nicht fliegen können und dergleichen Krimskrams steht in den Kasernen und Hangars herum. Oft fehlt das Geld für den Sprit bei Manövern und auch bei der Schießausbildung versucht man, mit so wenig Munition wie möglich durchzukommen. Insgesamt also mehr als lächerlich. Einem entschlossenen Angreifer, der im Anlassfall bereits unsere Nachbarstaaten überrannt hat, hätten wir nichts entgegenzusetzen. Vergleichbare Staaten wie Schweden oder die Schweiz verfügen über modernste Waffensysteme. Die Schweiz hat 46 Kampfjets, die in den kommenden Jahren ausgetauscht werden sollen und die schwedische Armee wird bis 2026 zumindest 60 Stück Saab Gripen E – eines der modernsten Kampfflugzeuge der Welt – in Dienst stellen. Sicher, das Bruttosozialprodukt beider Länder ist deutlich höher (Schweiz 746 Milliarden, Schweden 537 Milliarden, Österreich 429 Milliarden), aber bei uns geht Geld sowieso andere Wege. Zudem haben sich die letzten Verteidigungsminister durch den totalen Mangel an Sachkenntnis ausgezeichnet, inklusive der Lady aus dem Bauernbund, dem aktuellen Gipfel an fröhlicher Inkompetenz.
Angesichts des militärischen Debakels der Russen in der Ukraine, die sich einen Spaziergang erwartet haben und jetzt waffentechnisch der gesamten Nato gegenüber stehen, wird es womöglich konventionelle Kriege, wie wir sie derzeit kennen, in Zukunft gar nicht mehr geben. Was hat es für einen Sinn, einen Kampfpanzer um 6 Millionen Euro zu bauen, den ein einziger Soldat mit einer Panzerabwehrrakete vom Typ Javlin um 100 000 Euro erledigen kann. Genau so leicht wird ein Hubschrauber mit einer Stinger vom Himmel geholt. Letztendlich ginge es nur darum, wer den längsten Atem hat. Die Trümmerfelder in der Ukraine zeigen deutlich was gemeint ist. Insofern werden Kriege der Zukunft noch einmal auf einem technisch höheren Niveau geführt werden. Außer nationalistischen Diktatoren wie Putin kann niemand daran Interesse haben. Wozu also das Ganze. Wozu sollen wir auf die Neutralität verzichten und uns bis an die Zähne rüsten? Warum können wir nicht überhaupt aller Welt ein Beispiel sein wie Costa Rica, das auf ein stehendes Heer verzichtet? Was genau spricht dagegen? Was hat die Rüstung der k.u.k. Monarchie gebracht oder dem deutschen Kaiser Wilhelm II, oder dem Irak unter Saddam Hussein?
Ein viel wichtigeres Problem, wird über dieser sinnlosen Debatte vergessen: Unsere bedrohliche Abhängigkeit in punkto Energie und Nahrungsmittelversorgung. Es ist nämlich eine grundlegende Aufgabe der Politik, neben der Sicherheit des Staatsterritoriums, auch die der Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Und wir sind schon lange nicht mehr Selbstversorger. Wir werden in den kommenden Monaten erleben, dass die fehlenden Getreidelieferungen aus der Ukraine für viele Länder katastrophale Folgen haben wird. Dieser Aspekt, dass nämlich die riesigen landwirtschaftliche Flächen der Ukraine, mit den besten Schwarzerde-Böden der Welt, nicht bewirtschaftet werden können, wird uns vor Augen führen was Nahrungsmittelversorgung bzw. Selbstversorgung bedeutet. In Österreich sind wir nur zum Teil Selbstversorger, mit einer Überproduktion an Fleisch aber einem geringen Versorgungsgrad mit Obst und Gemüse*1. Dazu kommt dass in Österreich die besten landwirtschaftlichen Böden in einem atemberaubenden Tempo zubetoniert werden.*2 Nehmen wir diese Tatsache plus die Kosten für die Aufrüstung des Heeres, plus die Folgen des Klimawandels und extrapolieren wir in die Zukunft. Nehmen wir dazu noch, dass schon knapp nach der Mitte dieses Jahrhunderts die Alpengletscher abgeschmolzen sind und die davon gespeisten Flüsse wie die Donau wesentlich weniger Wasser führen werden und der Grundwasserspiegel insgesamt sinkt und parallel die Temperatur um 1,5 Grad ansteigt. Das wird zur Folge haben, dass viele landwirtschaftliche Flächen in Österreich versteppen. Ich weiß nicht, ob sich unsere Enkel noch Sorgen um die Neutralität machen werden, wenn sie nichts mehr zum Essen haben.
*Initiiert wurde der Aufruf (https://unseresicherheit.org/) unter anderem vom NEOS-Gründungsmitglied und Verlagsmanager Veit Dengler und der ehemaligen OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Politikerin Irmgard Griss. Unter den Unterstützern sind die Militärexperten Walter Feichtinger und Franz-Stefan Gady, AMS-Vorstand Johannes Kopf, EcoAustria-Direktorin Monika Köppl-Turyna, Unternehmensberaterin Antonella Mei-Pochtler, Ex-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager und die Autoren Robert Menasse, Robert Misik und Julya Rabinowich. Obwohl die Unterzeichner zu einem Großteil wohl politisch zuordenbar sind, will ich niemandem die echte Besorgnis absprechen. Warum sich aber Intellektuelle für die Herstellung einer Kriegsbereitschaft (darum geht es bei Aufgabe der Neutralität und Zusammenarbeit mit der NATO) einspannen lassen, ist mir allerdings unverständlich. Eine Aufforderung zu Reflexion und Diskussion ist ja durchaus sinnvoll und berechtigt. Wenn eine derartige Aufforderung aber nur aus einer bestimmten politischen Ecke kommt, dann ist zumindest ein leichter Zweifel an der Redlichkeit und der guten Absicht dieser Aufforderung angebracht! Ein Stichwort: Ohne Neutralität kann man auch aus Österreich Waffen verkaufen so viel man will und an wen man will…..
*1 https://lebensmittel.greenpeace.at/blog-mythos-eigenversorgung/
*2 https://kurier.at/wirtschaft/oesterreich-wird-zubetoniert/122.325.160