Breaking Bad

Ich hab mich in den letzten Jahren, als Zoon Politikon notgedrungen mit dem Auf- und Abtritt diverser ÖVP-Politiker beschäftigt. Insbesondere mit Kurz. Für mich war von Anfang an klar, dass diese Equipe, deren Anführer er sein wollte, nichts Gutes im Schilde führt und habe mich über die mangelnde Menschenkenntnis weiter Teile der Bevölkerung gewundert. Ich habe dazu auch von Anfang an Stellung genommen. Jetzt, gegen Ende dieses ereignisreichen Jahres beschäftigt mich die Überlegung, wie die ÖVP in dieses Fahrwasser gekommen ist. Irgendwann muss das ja angefangen haben und ich frage mich, wann das war. Wann genau die ÖVP sich zu einer höchst dubiosen Partei entwickelt hat, die mit dem Agout der Korruption und der reinen Klientelpartei behaftet ist. Eine Partei, die offensichtlich Postenschacher betreibt, über Inserate unversteuertes Geld einsammelt und den eigenen Wahlkampf aus der Kasse des Finanzamts über getürkte Meinungsumfragen finanziert. Irgendwann ist aus einer Volkspartei, die eine breite Wählerschicht abdeckte,    eine reine Vertretung des Kapitals geworden, die es mit der Wahrheit nicht mehr so genau nimmt, oder wie es vor kurzem jemand formuliert hat: Die ÖVP ist die Gewerkschaft der Millionäre und die Parteispenden sind deren Gewerkschaftsbeitrag. Die Parteianhängsel, wie der ÖAAB, der die Arbeiter vertritt, und der Bauernbund sind nur mehr Alibistrukturen, denn vertreten wird im Wesentlichen die Wirtschaft – sprich Industrie und Großkapital. Und die lassen sich das auch was kosten, da sie wissen, dass ihr Geld gut angelegt ist. Die ÖVP früher christlich/ katholisch folgt inzwischen einer neuen Religion. Diese Religion, nennt sich Neoliberalismus und der Neoliberalismus versucht, uns glauben zu lassen: Wirtschaft und politisches Geschehen gehorchen Naturgesetzen. Das rechtfertigt dann grenzenloses Gewinnstreben und die bedingungslose Unterordnung des Individuums unter den Unternehmenserfolg und rechtfertigt auch die  herrschenden Verhältnisse, die Zerstörung der Natur und die Ausbeutung der Arbeiter weltweit. Zu den Glaubenssätzen gehört, dass der Markt alles regelt, und staatliche Eingriffe deshalb kontraproduktiv sind. Immerwährendes Wirtschaftswachstum ist unabdingbar und auch wenn nur wenige dabei sehr reich werden, so sickert  dieser Reichtum langsam aber sicher nach unten zu den Armen durch. So weit so unrealistisch. Die Welt ist voll von Gegenbeweisen. Deshalb muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Menschen überall auf der Welt trotzdem von diesem Glauben zu überzeugen. Und das bedingt, dass notwendigerweise viel Geld für raffinierte Täuschungsmanöver und den notwendigen Einfluss auf die Medien ausgegeben werden muss. Wie sonst sollte man die überwiegend lohnabhängigen Wähler dazu bringen, die Partei der Unternehmer zu wählen, deren Interessen diametral denen der Lohnabhängigen gegenüberstehen. Man braucht Fachleute die  Themenbereiche finden, die emotional stark genug sind, um auf die Meinung der Massen einzuwirken. Ganze Firmen, ausgerüstet mit modernstem Know-How stehen  zu Diensten und um führende Politiker gibt es große Stäbe von Kommunikationsfachleuten, die darauf geschult sind, aus einem X ein U zu machen.  Der Trick, die Österreicher, die sowieso schon immer ein wenig Xenophob waren, mit dem Migrationsthema in Angst und Schrecken zu versetzen, war gut und ist ein Dauerbrenner. Einmal ins kollektive Unterbewusste gepflanzt, ist der Abwehrreflex immer wieder zu aktivieren.  Das hat die FPÖ ebenfalls zum Geschäftsmodell gemacht. Doskozil von der SPÖ kokettiert ein wenig damit und Nehammer spielt gerade wieder damit herum und gibt sich als großer Grenzpolizist, um die FPÖ in Schach zu halten. Die Kommunikationsfachleute wissen genau, wie oft eine Botschaft wiederholt werden muss bis sie in aller Munde ist und vor allem, bis sie geglaubt wird.  Da gibt es eine ganz einfache Erkenntnis aus der psychologischen Forschung und die besagt: Wenn eine Behauptung, auch wenn sie falsch ist, oft genug wiederholt wird, neigen auch Menschen, die wissen, dass die Behauptung falsch ist dazu, sie letztlich zu glauben.

Aber zurück zur eingangs gestellter Frage. Breaking bad heißt auf Deutsch: Auf die schiefe Bahn kommen, kriminell werden. Wann also hat die ÖVP die Entscheidung getroffen, die Staatsbürger nicht mehr ernst zu nehmen, sondern mit geschickter Manipulation (der Fachbegriff dafür ist Nudging)* und einem riesigen Werbeaufwand  ganz gezielt ein potemkinsches Dorf aufzubauen, hinter dessen Fassaden  sie dann ungestört alles tun konnte, was für ihr Klientel (Stichwort Hure der Reichen) von Interesse war?  Lassen wir die Vorgeschichte weg, obwohl ein wenig davon in der Erbmasse der heutigen ÖVP zu finden ist. (Damit meine ich die Vorgängerpartei der ÖVP, die Christlichsoziale Partei mit Dollfuss und autoritärem Ständestaat, Austrofaschismus etc.) Beginnen wir bei der Neugründung 1945. Man verstand sich als breite bürgerliche Volkspartei, die katholische Soziallehre, Konservatismus und Liberalismus in sich vereinen sollte. Sie unterschied sich von der Vorgängerpartei, der Christlichsozialen Partei(CS), durch das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie und zur österreichischen Nation.  In wirtschaftspolitischer Hinsicht vertrat die ÖVP gemäß der katholischen Soziallehre zunächst eine kapitalismuskritische Haltung.  Die ökonomische Figur des ehrbaren Kaufmannes wurde nicht nur in der Wirtschaft, sondern „in allen gesellschaftlichen Bereichen“ zum Leitbild erhoben. Das war also die Ausgangskonstellation – ehrbare Männer mit ehrbaren Absichten.

In der Folgezeit, ab 1951 kam es in der ÖVP zu offener Kritik an der Parteiführung, weil die Wahlerfolge ausblieben und das führte schließlich zur sukzessiven Übernahme der Parteiführung durch den Wirtschaftsflügel um Julius Raab. Im Juni 1952 wurde Raab zum geschäftsführenden Obmann und Ende Februar 1953 zum Parteiobmann gewählt. In weiterer Folge kam es zu weiteren personellen Änderungen in der Regierung und zu einer Stärkung der „Vaterländischen“ in der ÖVP zu Lasten der christlich-sozialen Richtung.

In dieser Konstellation ging es dann durch diverse Koalitionen mit der SPÖ jahrelang dahin. Bei den Nationalratswahlen 1966  gewann die ÖVP vier Mandate hinzu und erreichte die absolute Mehrheit. Nach kurzen Verhandlungen mit der SPÖ bildete Josef Klaus die erste Alleinregierung. Nach 21 Jahren großer Koalition war dies für Österreich ungewöhnlich. An erster Stelle der zu lösenden Probleme nannte Klaus in seiner Regierungserklärung den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der EWG und unternahm erste Schritte zu einem Vertrag. Die ÖVP schlug – man höre und staune – dem Bundespräsidenten 1966 das erste weibliche Regierungsmitglied seit Gründung der Republik 1918 vor. Es war dies Sozialministerin Grete Rehor. Noch bei der Wahl zum Europaparlament am 13. Oktober 1996 wurde die ÖVP wieder zur stimmenstärksten Partei. Aber drei Jahre (1999) später fiel die ÖVP bei den Nationalratswahlen knapp hinter die FPÖ, geführt vom Rechtspopulisten Jörg Haider, zurück. Haider hatte sich damals, genau wie die FPÖ heute, mit fremdenfeindlichen und den Nationalsozialismus beschönigenden Aussagen positioniert und mit diesem Rezept Erfolg gehabt. (Bekannt wurde in einer Debatte über Arbeitslosigkeit im Kärntner Landtag folgender Satz: Na, das hat’s im Dritten Reich nicht gegeben, weil im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal Ihre Regierung in Wien zusammenbringt. Das muss man auch einmal sagen).                                                           Schüssel hatte im Wahlkampf angekündigt, dass die ÖVP als drittstärkste Kraft in Opposition gehen würde, revidierte aber nach der Wahl diese Aussage. Nachdem lange Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ scheiterten, kamen ÖVP und FPÖ im Jänner 2000 überein, die neue Regierung zu bilden. (Die Regierungsbeteiligung der FPÖ führte innenpolitisch zu harscher Kritik und außenpolitisch zu den Sanktionen der EU gegen Österreich Es kam in der Folge auch zu Austritten aus der ÖVP).

2002 traten wegen großer Konflikte zwischen dem in der Regierung vertretenen liberaleren Flügel und den Anhängern Jörg Haiders zwei Regierungsmitglieder der FPÖ und der FPÖ-Klubobmann zurück. Es kam zu vorgezogenen Neuwahlen, bei denen die ÖVP einen großen Wahlerfolg erzielte: Sie gewann rund 15 Prozent hinzu und wurde mit 42,3 Prozent der Stimmen mit Abstand stärkste Partei. Wiederum bildeten ÖVP und FPÖ, die stark an Stimmen verloren hatte, eine Koalition. Im April 2005 kam es beim Koalitionspartner FPÖ zu einer Parteispaltung: Während die Gruppe um Heinz-Christian StracheAndreas Mölzer und Ewald Stadler gegen einen Verbleib in der Regierung eintrat und in der Folge eine „neue“ FPÖ anstrebte, traten die regierungstreuen Mitglieder um Jörg Haider und Hubert Gorbach aus der Partei aus und gründeten das „Bündnis Zukunft Österreich“. Die ÖVP setzte daraufhin die Koalition mit dem BZÖ fort und ab da war nur mehr der Machterhalt um jeden Preis nach der Devise: „Der Zweck heiligt die Mittel“, relevant. Ich denke, dass das der Zeitpunkt war, an dem die ÖVP den Pfad der Tugend verließ. Es begann mit Schüssel. Während seiner Kanzlerschaft wich man nicht Schritt für Schritt vom Pfad der Tugend ab, man verließ ihn Hals über Kopf. BUWOG- Skandal, Telekom-Skandal, Eurofighter-Skandal. Ernst Strasser, Innenminister im Kabinett Schüssel I und Schüssel II wurde wegen Bestechlichkeit als Delegationsleiter bei der EU in Brüssel zu drei Jahren Haft verurteilt.*  Ein Skandal jagte den anderen. Die Folgen sind heute noch zu spüren. Nach Schüssel agierten Molterer, Pröll und Spindelegger eher glücklos. Pröll hat sich in der Hypobank-Affäre für den Raiffeisenkonzern verdient gemacht, indem er als damaliger Finanzminister einer Verstaatlichung der mit Milliarden verschuldeten Bank zustimmte. Die gehörte damals eigentlich schon der Bayrischen Landesbank. So sind auch dem Raiffeisenkonzern Milliardenverluste erspart geblieben und Pröll bekam in der Folge bei Raiffeisen  einen hochdotierten Job. Ein Gerichtsverfahren gegen Pröll in dieser Angelegenheit wurde eingestellt. Mit Mitterlehner als Parteiobmann begann der Aufstieg von Sebastian Kurz, der von Mitterlehners Vorgänger Spindelegger protegiert wurde. Mit gefakten und aus dem Finanzministerium bezahlten Inseraten hat Kurz den Putsch gegen Mitterlehner vorbereitet, um dann, den neoliberalen von der Wirtschaft bevorzugten Kurs, den Schüssel begonnen hat, fortzuführen. Er hatte sich frei von jeglichem Skrupel schon im Vorfeld den finanzstarken Lobbys der Industrie als Erfüllungsgehilfe für deren politische Wünsche angedient und die füllten seine Wahlkampfkasse mit Millionen. Bei der Wahl war er erfolgreich mit der Masche, die er bei der FPÖ abgekupfert hatte: Dem sattsam bekannten Migrationsthema, das er bis zum Überdruss in seiner Wahlkampagne strapazierte. Zudem wurde er zum politischen Wunderkind hochstilisiert und zwar so geschickt, dass ihn auch im Ausland, besonders in Deutschland, das politische Establishment hofierte. Aber, wie es so schön heißt: Die Zeit heilt alle Wunder. Und das hat Österreich ein politisches Desaster der Sonderklasse beschert. Was von Kurz und Co. übrigblieb, wird uns und die Gerichte noch viele Jahre beschäftigen. Desgleichen die Folgen der totalen Inkompetenz, die Sebastian Kurz‘ Politik und die seiner Minister/innen auszeichnete. Noch mehr Breaking bad geht gar nicht.

*Nudging (deutsche Übersetzung: „Anstoßen“, Schubsen“) bedeutet, Menschen subtil in eine bestimmte Richtung zu bewegen, ohne Druck, Zwang oder ökonomische Anreize auszuüben. Sie haben weiterhin alle Wahlfreiheiten, doch das gewünschte Verhalten wird als besonders attraktiv oder wichtig dargestellt.

Calvinismus – Wikipedia

 *Andererseits, man hat es bei Ernst Strasser gesehen: Von den ursprünglich 4 Jahren, zu denen er erstinstanzlich verurteilt wurde, verbrachte er lediglich 6 Monate im Gefängnis und das auch nur des Nachts, denn nach acht Wochen war er schon Freigänger und arbeitete bei einer Beratungsfirma. Wie Jean Jacques Rousseau schon sagte: Der Reiche trägt das Gesetz in seiner Geldbörse. Für ÖVP-Politiker in Österreich gilt das Gleiche. Die Gerichtsverfahren inklusive Kosten für Rechtsanwälte werden von der Partei getragen, also werden sie aus Steuermitteln bezahlt.

Hypo-Pleite würde Raiffeisen treffen | DiePresse.com

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Ein Gedanke zu “Breaking Bad”

  1. Perfekt, den Nagel auf den Kopf getroffen.
    In meinem Umfeld heißt es trotzdem einmal ÖVP gewählt immer wieder wählen. Gleiches gilt auch für FPÖ Anhänger. Traurig aber wahr!

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