Nicht Ärzte, sondern Politiker haben den Eignungstest für Medizin eingeführt, der eindeutig Streber und Leute bevorzugt, die sich zu Höherem berufen fühlen. Das Erfassen von Empathie ist nicht die Stärke dieses Tests. Es war 2006 unter der ÖVP- Gesundheitsministerin Rauch-Kallat, die die Nachfolge von Herbert Haupt (FPÖ) angetreten hatte. Erforderlich wurde der Test, weil die ÖVP Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, die parallel für die Universitäten verantwortlich zeichnete, es verabsäumt hatte, von der EU entsprechende Begleitmaßnahmen für die verlangte Öffnung der österreichischen Universitäten für alle europäischen Studenten zu fordern.* Argumente hätte es genug gegeben. Gehrer hat auch Studiengebühren eingeführt. Eine Erschwernis ausschließlich für die ärmeren Schichten. Seither sind vier von 10 Bewerbern um einen österreichischen Medizinausbildungsplatz aus Deutschland. In der Folge ist die Zahl der Allgemeinmediziner dramatisch zurückgegangen. Zudem – statt den Kassenärzten bessere Bedingungen zu bieten und sie besser zu bezahlen, verlangt man von ihnen Massenabfertigung und drangsaliert sie mit überbordenden bürokratischen Auflagen. Das lassen sich die Jungen nicht mehr bieten. Sie gehen ihrerseits scharenweise ins Ausland.
Das, was einmal die Allgemeinmedizin, vor allem auf dem Land ausmachte, nämlich Zugang zum System zu jeder Zeit und mit jedem Wehwehchen zu bieten, wird aussterben. Auch die Landärzte setzen inzwischen auf Terminvergabe und Bestellpraxis. Außerhalb der Zeit anrufen und womöglich gar ein Visite fordern, das gibt es bald nicht mehr. Da muss zum fiebernden Kind der Notarzt kommen. Die Politik hat durch die Kassenzusammenlegung zu horrenden Zusatzkosten im System beigetragen und die ganzen Entscheidungsprozesse müssen jetzt umständlich über Wien und nicht mehr vor Ort erledigt werden, was alles noch einmal komplizierter und noch teurer macht. Das hat auch nicht die Patientenmilliarde gebracht wie versprochen, das war nur die Karotte, die man dem Publikum vor die Nase gehalten hat, um davon abzulenken, dass das System für den Einfluss der Arbeitgeber geöffnet werden sollte, was ja auch gelungen ist. Das war von vornherein klar. Das war ein Auftrag der Wirtschaft an die türkise ÖVP.
Aber natürlich sind jetzt an all dem die Ärzte schuld. Ein weiterer Bundesminister, der die Situation der Ärzte kennen müsste,**droht jetzt mit Strafmaßnahmen oder gar einer Arbeitsverpflichtung für Ärzte. All die Probleme sind seit langem bekannt, aber die Politik hat seit Jahren geschlafen und es sträflich verabsäumt, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Der Ärztekammer kann man den schwarzen Peter zuspielen, weil man in einem drei Minuten Interview im ORF die ganzen Hintergründe gar nicht erklären kann und die Leute die Zusammenhänge auch nicht begreifen können. Und sonst lässt man die Ärzte tunlichst nicht zu Wort kommen. Ihre Expertise war nicht einmal in der Coronazeit besonders gefragt. Sie durften rund um die Uhr arbeiten aber ansonsten hörte man auf den Wahnsinn von Kickl und Co.
Dasselbe droht im Schulsystem: In Wien sind bereits 1200 Lehrkräfte eingesetzt, die ihr Studium noch gar nicht fertig haben, so sehr hat sich die Situation zugespitzt und es wird noch viel schlimmer. Vielleicht so wie in Berlin, wo irgendwer von der Straße, der ein wenig Englisch kann, den Englischunterricht übernimmt. Von all dem – also von den wirklich wichtigen Problemen – hört man nichts aus Politikermündern. Was wir täglich hören ist: Migrationsproblem, Migrationspolitik, Migranten, Schengen funktioniert nicht, strengere Maßnahmen, Grenzzäune, mehr Polizei, notgeile Asylanten, Messerstecher, Afghanen-Banden usw.… Die ÖVP ist jetzt seit 2017 an der Macht und die FPÖ war ebenfalls in der Regierung. Haben sie das Problem gelöst? Nein, sie haben 6 Jahre nur geredet, weil sie das Problem brauchen, um von der sonstigen Unfähigkeit in allen Bereichen abzulenken. Ein eigens gegründetes Integrationsministerium hat bis jetzt keinen einzigen Schritt gesetzt, um irgendetwas an der ganzen Sache zu ändern. Sebastian Kurz hat diese Position lediglich als Sprungbrett für seine Machtergreifung in der ÖVP genutzt und keinerlei Spuren hinterlassen, die auf ernsthafte Arbeit hindeuten würden. Bundeskanzler Nehammer fliegt immer noch in der Gegend herum, um mit ernster Miene mit anderen, ebenso überforderten Staatsmännern, die Situation weiter zu eskalieren.
Weder für die Integration von bereits anwesenden Migranten noch für den vielzitierten Grenzschutz wurde ein akzeptables Ziel erreicht. Alles nur Gewäsch. Dafür gibt es für die tatsächlich anstehenden Problem – Gesundheitssystem, Schulsystem, Inflation, Klimaproblematik…. Nicht einmal im Ansatz Lösungsvorschläge. Aber Schuldige sucht und findet man und die Öffentlichkeit fällt wie immer auf jedes neue Narrativ herein, das auf den medialen Weg gebracht wird. Die Ergebnisse der NÖ Wahl zeigt gerade wieder, wie unglaublich jenseitig und unbedarft dieses Land ist. Die meisten FPÖ Wählerstimmen gab es in den Gemeinden mit der geringsten Impfquote und den wenigsten Eingeweidewürmern.
Nach wie vor gilt: Nur wenn man bei einer Partei ist, kommt man in Österreich weiter. Drum geht jeder Trottel zu einer Partei und ab einem IQ, der zwischen 90 und 100 liegt ist man schon für höhere Weihen geeignet. Dann steigt man nach dem Peterprinzip*** auf, bis man dort sitzt, wo man wirklich mit seiner Unfähigkeit Schaden anrichten kann. Ich bin gegen Aufnahmeprüfungen für das Medizinstudium, die Matura sollte wie auch für jedes andere Fach genügen. Aber ich bin für Intelligenztests für Politiker.
*Österreich musste nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Juli 2005 seine Hochschulen für Bewerber aus anderen EU-Staaten öffnen. Zuvor wurde in Österreich ein Studienplatz im Herkunftsland verlangt, um einen Zugang zu österreichischen Universitäten zu erhalten (Herkunftslandprinzip). Da eine massive Überlastung der österreichischen Universitäten durch deutsche Studenten befürchtet wurde, erhielten die Universitäten daraufhin die Möglichkeit, in acht Studienfächern, darunter Medizin, ihre künftigen Studenten auszuwählen. Eine besondere Rolle spielt dabei ein Quotensystem, wonach 75 % der Studienplätze Bewerbern mit österreichischem Reifeprüfungszeugnis oder gleichgestellten Staatsangehörigen (Südtiroler, Luxemburger, Liechtensteiner) vorbehalten sind. 20 % sind für Personen reserviert, die ihr Reifezeugnis innerhalb der EU abgelegt haben, 5 % für solche, die dies außerhalb der EU taten. Inzwischen sind 4 von 10 Studenten, die zum Eignungstest antreten alleine aus Deutschland.
** Die Gattin des derzeitigen Ministers Rauch ist selber Allgemeinmedizinerin und hat sich vehement gegen die Politik ihres Gatten ausgesprochen…
***Das Peterprinzip: In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.