Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern unsere Vorstellungen und unsere Meinungen von den Dingen. Epiktet. *
Diesen Satz könnte man auch so übersetzen: Wir sehen die Welt nicht durch die Brille der Realität, sondern durch die Brille unserer Vorurteile. Das, was Epiktet vor zweitausend Jahren begriffen hat, ist bis heute bei den meisten Menschen nicht angekommen. Politiker wissen das. Nicht das Problem selber ist ausschlaggebend für die öffentliche Meinung, sondern wie man es darstellt. Wir sind derzeit in Österreich in der Situation, dass ein Haufen Verschwörungstheoretiker unablässig Gehässigkeiten und Lügen verbreitet und damit den gesamten öffentlichen Diskurs bestimmt und vielen verunsicherten Menschen die Sicht auf die Realität nimmt. Das Erstaunliche ist, auch intelligente Menschen lassen sich von deren Propaganda ins Bockshorn jagen. Viele glauben inzwischen daran, dass die große Umvolkung stattfindet, die nur von rechtsextremen Nationalisten, verhindert werden kann und sind bereit, diese demokratisch zu legitimieren. Dass deren Gesinnung, deren Dummheit und deren Tendenz zu Gewalt und Korruption schon vor 80 Jahren in eine Katastrophe geführt hat, wird einfach ignoriert. Weshalb müssen wir in einem Land, in dem vorwiegend intelligente, tatkräftige Menschen leben, ständig über Trottel diskutieren, die zum Teil zu dumm sind, um einen Kuhfladen zu salzen, aber die Klappe aufreißen um irgendeine faschistoide Wortmeldung von sich zu geben. Warum zeigt sich Österreich gerade von seiner irrationalsten und dreckigsten Seite? Warum steigt die Presse immer wieder darauf ein und tut zum Teil sogar so, als wäre die Denkweise dieser Politkriminellen schon auch irgendwie anzuerkennen und diskussionswürdig. Bei Menschenrechten gibt es nichts zu diskutieren. Wenn wir immer wieder nach solchen menschenverachtenden Aussagen zur Tagesordnung übergehen und den rechten Medien erlauben, das alles zu beschönigen oder sogar ihre Konsumenten noch zu bestärken, verlieren wir nach und nach unsere Immunität gegen den Geist der Unkultur. Dann werden die Angriffe nicht mehr nur verbaler Natur bleiben. Niemand soll glauben, dass das nicht möglich ist. Ein paar hundert rechtsextreme Straftaten und Angriffe pro Jahr werden auch heute schon ignoriert, totgeschwiegen oder kleingeredet. Wenn ein Asylantenheim abgefackelt wird, spricht man nicht lange darüber. Aber jede Rauferei unter Migranten wird tagelang breitgetreten, auch wenn vorwiegend Österreicher daran beteiligt waren. Wenn ein Muslim seine Frau oder seine Schwester umbringt, ist das was anderes wie die dreißig oder vierzig Frauenmorde, die Österreicher jedes Jahr begehen.
Steter Tropfen höhlt den Stein – sprich, die ständige Annäherung des durch die Sprache geformten Denkens an vorher Undenkbares bewirkt so nach und nach eine Veränderung zum immer Unmenschlicheren hin. Man hat sich nach dem zweiten Weltkrieg gewundert, dass eine Kulturnation wie Deutschland, die Goethe und Schiller, Beethoven, Albrecht Dürer und Johannes Gutenberg hervorgebracht hat, zu so unendlichen Gräueltaten fähig war. Die Nazi- Propaganda hatte eine Desensibilisierung bewirkt, die den dünnen Kultursaum, der uns alle voreinander schützt, systematisch abgebaut hat und dann staunt man, wie bösartig Menschen sein können und zu welchen Verbrechen sie dann fähig sind. Genau diese Desensibilisierung findet statt: Da veröffentlicht ein Wiener FPÖ-Stadtrat ein Bild, auf dem ein Klimaaktivist anpinkelt wird, ein Woche später spricht ein Landesrat aus Niederösterreich Jugendlichen die Daseinsberechtigung ab, weil sie Migrationshintergrund haben. Und so geht das unablässig weiter bis die Dämme brechen. Wer nicht jeden Menschen als Mitmenschen anerkennt, ist nicht nur eine Gefahr für Migranten, sondern für jeden von uns. Wenn das in Österreich nicht bald begriffen wird, dann sind wir nicht beim Häusl im Wald, sondern in einer richtigen Kloake angekommen. Es ist hoch an der Zeit, dass sich beherzte Menschen in Österreich zusammenfinden, um diesen ständigen Angriffen auf die elementarste Basis des Zusammenlebens, auf die sich Menschen seit Jahrtausenden zu verständigen suchen, abzuwehren und dieser aus Dummheit und Ignoranz erwachsenen Faschistenrhetorik ebenso lautstark und ebenso populistisch entgegenzutreten. Nicht die Migration ist eine Gefahr für Österreich, sondern die zunehmende Verzerrung der Wahrheit durch rechtsextreme Hetzer wie Herbert Kickl und Konsorten.
um 50 – 138 n. Chr.), griechisch: Epiktetos, griechischer Stoiker und Philosoph. Epiktet war Sklave und wurde nach Neros Tod freigelassen; gründete in Nikopolis eine Philosophenschule der Stoa, seine Lehre war von großem Einfluss auf das frühe Christentum