Im April wurde bekannt, dass die Wirtschaftskammer sehr viel Geld für private Zwecke ihrer Spitzenfunktionäre ausgibt. Unter anderem wurden Funktionären der WK Mitgliedsbeiträge für Golf- Yacht- oder Sportclubs ersetzt. Auch die Ausbildung der Kinder wird mit dem Geld der Kammermitglieder gefördert. „130.000 Euro machten allein die jährlichen Schulkosten für die Top-3-Mitarbeiter aus. „(1)
Die Politik hat sich dazu nicht geäußert. Wozu auch – alles in türkiser Hand.
Die österreichische Ärztekammer ist nicht nur Standesvertretung aller österreichischen Ärzte, sondern auch zuständig für Organisation von Aus- und Weiterbildung, also gemeinsam mit den Universitätsinstituten für die Lehrinhalte, die im Medizinstudiums vermittelt werden, verantwortlich. Die Ärztekammer ist bei Türkis in Ungnade gefallen. Waren noch vor Jahren ein Gutteil der Mediziner eher konservativ eingestellt, ändert sich das Selbstbild der Berufsgruppe in Richtung der sozialen Sicht, die sich aus dem Generationenwechsel und den Alltagserfahrungen zwangsläufig ergibt. Obwohl Österreich wohl eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hat und dieses System während der Pandemie seine Leistungsfähigkeit demonstrieren konnte, ist der freie Arztberuf den neoliberalen Politikern schon lange ein Dorn im Auge. Grund dafür ist, dass Ärzte sich in erster Linie ihren Patienten verantwortlich fühlen und dadurch Sparpläne auf Kosten der Patienten nie akzeptiert haben. Es wurden deshalb immer wieder Versuche gemacht, die Ärzte pauschal zu diffamieren und deren Freiheit einzuschränken oder die Ärzte dem neoliberalen System zu unterwerfen. Ich erinnere an die Absicht der ÖVP, Arztpraxen nicht mehr an Ärzte zu vergeben, sondern an den Bestbieter. Damit wäre es finanzstarken Gruppen ermöglicht worden, Arztpraxen zu übernehmen und dort Ärzte anzustellen, deren Aufgabe es gewesen wäre, Medizin möglichst billig, aber doch profitorientiert zu betreiben. Sozusagen eine McDonaldisierung der Medizin mit Billigärzten. Die Firma Hartlauer spekulierte damals auf die Errichtung zahlreicher Zahnambulatorien(2) Als wir Ärzte dagegen protestierten, wurden wir von der gesamten österreichischen Presse einhellig „erschlagen“ und der Gier bezichtigt.
Am 17. Juni wurde überfallsartig, nach einer nicht einmal 15 Minuten dauernden Debatte im Parlament, eine Novelle zum Ärztegesetz beschlossen, die eine vollkommenen Demontage der Ärztekammer nicht nur als Vertretung der Ärztinnen und Ärzte bedeutet, sondern darüber hinaus sämtliche Kompetenzen hinsichtlich der Ausbildung der An- und Aberkennung von Ausbildungsstellen und Ausbildungsstätten, von Lehrpraxen und Lehrambulatorien in Zukunft in die Hand der Landeshauptleute und des Bundesministeriums – also an den Beamtenapparat – verlagert. Bei der Auswahl von Ausbildungsstätten hat die Ärztekammer nicht einmal mehr die Möglichkeit einer Parteistellung. Es besteht die dringende Sorge, dass in Zukunft nicht mehr die Qualität im Vordergrund steht, sondern die Interessen der Länder bzw. politischer Gruppierungen und damit die Ausbildung einen dramatischen Qualitätsverlust erleidet und Österreich mittelfristig den Anschluss an die Spitzenmedizin verliert.
Niemand wurde vorab informiert, die meisten Ärzte wissen es wahrscheinlich noch nicht, oder haben es aus den spärlich an die Öffentlichkeit gesickerten Nachrichten erfahren. Der ORF hat es bis jetzt nicht der Mühe wert gefunden darüber und über die langfristigen Auswirkungen zu berichten. Und auch sämtliche Printmedien, die sonst über jeden Schmarrn berichten, schweigen in dieser eminent wichtigen Angelegenheit. Es soll gar keine öffentliche Diskussion darüber geben.
Es ist nicht so, dass ich alle Entscheidungen der Ärztekammer in den letzten Jahren für richtig gefunden habe, aber in den 40 Jahren, die ich selbst Kammermitglied bin, war immer der Grundkonsens zu erkennen, nämlich gemeinsam die besten Voraussetzungen für die beste Medizin zum Wohl der Patienten zu schaffen. Und das ist auch gelungen. Jetzt werden ohne Not, nur aus politischem Kalkül diese bewährten und erfolgreichen Strukturen zerstört. Mit sehr viel Geld – das dem Gesundheitssystem fehlen wird – wird eine neue Parallelstruktur aufgezogen, in der Politiker über Bereiche das Gesundheitssystems entscheiden, von denen sie keine Ahnung haben. Ähnlich wie bei der sogenannten „Kassenreform“ die zu Einsparungen führen sollte, und real eine Milliarde Verlust bewirkt hat, werden auch diese Maßnahmen einen Kostenanstieg verursachen. Letztlich haben alle Reformen in den letzten Jahren zu Mehrkosten und in der Folge zur Kürzung von sozialen Transferleistungen geführt. Und das ist die Absicht.
Ähnlich wie die Kirche unter Druck gesetzt wurde,(3) um zu verhindern, dass sie Stellung zur türkisen Asylpolitik nimmt, wird jetzt die nächste Institution angegriffen, die dem Rückbau des Gesundheitssystems und seiner Nutzbarmachung für Finanzinteressen im Wege steht.
Damit wird nach den Krankenkassen jetzt auch die Ärzteausbildung von der Wirtschaft und deren Interessen und Bedürfnissen dominiert und alle schweigen bis sie selber dran sind.
(1)Der Standard 17. April 2021
(2) Zehn Jahre Zahn-Streit: Hartlauer gewinnt, will jetzt aber nicht mehr | Nachrichten.at
(3)„Vollgas“-Aktion der ÖVP gegen Kirche war länger vorbereitet | SN.at
So sehr ich Ihre Schlussfolgerungen teile, sehen Sie die Kammer zu positiv. Arztakademie, ÖQMed und die erst in Aufbau begriffene Konkurrenz zu HTA und GÖG wurden im Mißverständnis gegründet, sich dadurch dem Zugriff des BuMins entziehen zu können. Dafür zahlen wir alle sehr viel Umlagen und haben das Ziel, wie es scheint, doch nicht erreicht. Während Apothekerkammer, RK auch in der Pandemie das Sagen haben, hat sich die ÄK in Grabenkämpfen und Postenschacher selbst gelähmt, nicht erst seit Türkis, auch noch unter roten Regierungen. Wir kriegen nun alle die Rechnung, welche Figuren wir in unserer Kammer groß werden ließen, die lieber im InnetenAllegemeinmediziner gegen FÄs und Niedergelassene gegen Angestellte ausgespielt haben, als nach außen unser aller Interessen zu vertreten.
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Ich schreibe nicht für die Ärztekammer, sondern gegen den türkisen Zugriff, wenn Sie verstehen was ich meine..
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Und ich sehe den Zugriff schon länger als es Türkis gibt und eine beträchtliche Eigenschuld drr ÄK.
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Ja, da sind wir uns wohl einig..
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