Manifest eines totalitären Wirtschaftsystems

„Ein Gespenst geht um in Europa…“ Mit diesem, heute geflügelten Wort, beginnt das kommunistische Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels 1848 veröffentlichten. Es endet mit dem bekannten Aufruf: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
Heute geht auch ein Gespenst um in Europa, das Gespenst des Kapitalismus, das sich zusehends mit antidemokratischen und populistischen Regierungen vergesellschaftet. Ein Gespenst das nach Profit giert und ohne Rücksicht auf unsere begrenzte Welt und deren begrenzte Ressourcen, wie ein alter seniler Geizkragen, immer mehr Kapital an sich rafft. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung wird einem Oxfam-Bericht zufolge bald mehr als die Hälfte des weltweiten Vermögens besitzen. Der Begleiter des Kapitalismus war immer schon der Faschismus, der dem Kapital dient und die, die sich nicht ausplündern lassen wollen, in Angst und Schrecken versetzt. Und auch der Faschismus ist in den europäischen Staaten dabei, in führende Positionen zu gelangen.
Unsere Wirtschaft ist keineswegs so wie Wirtschaftswissenschaftler – oder sollte man besser sagen Wirtschaftsgläubige – uns weismachen wollen, eine an und für sich neutrale Angelegenheit, in der alle dieselben Chancen haben. Dass dem nicht so ist, weiß jeder und jeder sieht an sich selbst oder anderen, dass Chancengleichheit ein leeres Schlagwort ist. Die Kapitalkonzentration bei einigen Wenigen ist dermaßen groß, dass alleine daraus der politische Einfluss auf den Staat sich in einem eklatanten Ungleichgewicht befindet. Der Abstand nach oben ist inzwischen so riesig, dass die unten gar nicht mehr wahrnehmen was sich da oben abspielt. Was sie sehen, ist der eigene Nachbar, der Mitarbeiter am Arbeitsplatz und der Migrant. Und der wird ihnen zum Feindbild, weil nationalistisch gesinnte Rechtspopulisten ihn zum Feind erklären. Der wirkliche Feind ist so weit über ihnen, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnehmen. Der neoliberale Kapitalismus ist ein System, das einzig den Profit in den Vordergrund stellt. In einer Gesellschaft sollte aber der Mensch im Vordergrund stehen und zwar jeder, nicht nur der Vermögende. Das ganze Geschwafel von: Geht es der Wirtschaft gut, geht es den Menschen gut, ist purer Zynismus und soll die brutalen, menschenfeindlichen und Umweltschädigenden Mechanismen, mit denen die Wirtschaftsfunktionäre die politische Macht in den allermeisten Staate der Erde für ihre Zwecke nutzen, verschleiern. Einer der Höhepunkte kapitalistischer Unverfrorenheit ist der Versuch der derzeitigen österreichischen Regierung die Wirtschaft und somit den Profit in der österreichischen Verfassung zu verankern. Was das langfristig heißt, wenn der Wirtschaftsstandort und die dafür nötigen, gesetzlichen Bedingungen die den Wirtschaftstandort sichern, in der Verfassung stehen, haben sich wahrscheinlich die wenigsten Österreicher bisher überlegt. In manchen islamischen Staaten ist der Islam als Staatsreligion in der Verfassung. Das heißt, das die Gesetze des Islam, also die Scharia als wichtigstes übergeordnetes Element der Verfassung gelten und die politischen Lenker das Staates, die Legislative und die Executive in erster Linie diesen Gesetzen verpflichtet sind, alles andere ist nachrangig, auch die Menschenrechte.
Wenn die Wirtschaft und nicht mehr das Glück und die Freiheit der Bürger als Staatsziel in der Verfassung verankert ist, heißt das, dass Wirtschaftsinteressen vor allen andern Interessen den Vorzug haben und zudem verpflichtet es die Vollzugsorgane, also Justiz und Polizei, diese dann berechtigten und verfassungsmäßig abgesicherten Interessen der Wirtschaftstreibenden, durchzusetzen. Das Interesse, das die Bevölkerung an einer gesunden und intakten Umwelt hat, wird zwar derzeit noch als gleichranging eingestuft, aber die geplante Gesetzgebung hinsichtlich Umweltverträglichkeitsprüfungen, die die Regierung beabsichtigt, zeigt deutlich, dass dem nicht so ist. Ressourcen wie Wasser und Luft, sind dann verfassungsmäßig den Wirtschaftsinteressen dienstbar zu machen. Die Interessen, die Arbeitnehmer im Konflikt mit Arbeitgebern haben, werden sekundär. Wenn der Wirtschaft durch einen Streik Schaden droht, ist der Streik dann ein Verfassungsbruch und wird demgemäß geahndet? Gemeinden könnten weder ihr Grundwasser noch Wälder oder Flusssysteme vor Eingriffen der Industrie schützen, sie würden sich unter Umständen sogar strafbar machen, wenn sie eine Baubewilligung verweigern. Wir haben dann keine Verfassung mehr, sondern Sonderrechte für das Großkapital, die Verfassung wird dann zum Manifest eines totalitären Wirtschafssystems.

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