Ein kleiner Exkurs über Macht

Natürlich haben viele darüber nachgedacht, wie es ein 31 jähriger Maturant  mit abgebrochenem Jusstudium geschafft hat,  österreichischer Bundeskanzler und damit jüngster Staatschef der Welt zu werden. Manche Medien sprachen spöttisch von einem  Kinderkanzler. Andererseits wurde er besonders in Deutschland,  vor allem von den konservativen Medien, mit Vorschusslorbeeren bedacht.  Eine gewisse Verblüffung schwang in den Berichten über ihn mit. Ein Land das ehedem  von gefestigten Charakteren wie Karl Renner, Leopold Figl oder dem charismatischen Erneuerer  Bruno Kreisky geführt wurde, wählt einen fast noch Jugendlichen in das wichtigste Amt des Staates. Wie gesagt, die Aufmerksamkeit  im Ausland war zumindest eine Weile dementsprechend groß, während in Österreich gar nicht so viel Aufhebens davon gemacht wurde. Von denen, die ihn gewählt hatten sowieso nicht – sie schienen mit ihrer Entscheidung kritiklos glücklich zu sein und auch die politischen Gegner und die Medien nahmen es mehr oder weniger unkommentiert zur Kenntnis. Es wurde wohl aus unterschiedlichen Gründen als unklug erachtet, ihm seine Jugend und Unerfahrenheit zum Vorwurf zu machen. Bis dato war er nur durch seinen Job als Staatssekretär für Integration, in dem er weitgehend unauffällig und unwirksam  blieb und dann als Außenminister in der Flüchtlingskrise 2015 bekannt. Unvergessen blieb auch  seine infantile Werbekampagne mit dem Geilomobil und später der Putsch gegen seinen  Parteichef Mitterlehner. Als einziges Wahlkampfthema wurden dann wochenlang Ressentiments gegen Migranten geschürt und die Schließung der Balkanroute, die in Wahrheit durch Verhandlungen von Angela Merkl mit der Türkei ermöglicht wurde,  als eine Großtat dargestellt und von ihm selber sicher tausendmal erwähnt.   Das ließ, wie zu erwarten, zahlreiche FPÖ Anhänger, aber auch viele Wähler aus der Arbeiterschaft, denen er ein finstere Zukunft  durch die Migrationsbewegungen prophezeite,  in sein Lager wechseln. Von einer gut dotierten Wahlkampfkasse finanziert, wurde er in einem präzise auf ihn zugeschnittenen Wahlkampf zu einer Art Sonderbegabung mit langjähriger erfolgreicher Politkarriere hochstilisiert.   So inszenierte er sich auch bei jedem seiner genau geplanten Auftritte. Das haben dann genug geglaubt, um die Wahl zu entscheiden.

Keinem von uns ist der Wunsch nach Macht in die Wiege gelegt, keiner von uns träumt diesen Traum, den Traum, dass der eigenen Wille ein ganzes Volk bestimmt. Dieser Traum entsteht vermutlich  erst wenn man irgendwo vor den  Pforten zur Macht angekommen ist und einen Blick in die heiligen Hallen  werfen kann. Sicher nicht in den Niederungen eines profanen Daseins.  Nur dort  beschäftigt sich das Denken mit den Möglichkeiten und das Ego wächst und wächst mit den Gelegenheiten. Wir kennen das aus der Geschichte. Wie oft haben Leute aus dem Dunstkreis der Mächtigen den Versuch gemacht, sich selber zu positionieren und auf eine gute Gelegenheit zu warten. In dem Moment, wo man entdeckt, dass die Mächtigen auch nur einfache Menschen sind, mag der Gedanke naheliegen, dass  die Macht niemanden bevorzugt, es sei denn den Entschlossenen und das ist der Augenblick, in dem man sich vermutlich selbst in dieser Rolle des Mächtigen zu sehen beginnt. Vor allem, wenn man die Erfahrung macht, dass nicht selten viel Macht in den Händen von sehr unoriginellen oft sogar dummen Menschen liegt. Dann werden aus ersten Vorstellungen konkrete Pläne. Der Gedanke: „Das kann ich auch und sogar besser“, verbunden mit einem großen Ego wird zum inneren Antrieb. Dann werden Komplizen gesucht und Rollen verteilt und Finanziers, die die Gunst der Stunde erkennen, bieten sich an oder werden angesprochen. Alles wird exakt geplant und dann, aus der Position des Unverdächtigen, erfolgt der Überraschungsangriff. Es waren in der Geschichte immer die Nebenfiguren, die sich berufen fühlten oder von anderen vorgeschoben wurden, die letztlich das Drama verursacht haben – Gefreite, Generäle oder Außenminister. All das wiederholte sich im Lauf der Geschichte unzählige Male. Insofern ist von einer immer gleichen psychischen  Dynamik und Rollenverteilung auszugehen…eine uralte Geschichte.

Das türkise System beruht darauf, dass eine Gruppe entschlossener junger Männer und Frauen ein paar von den  Schwachstellen in unserer Demokratie erkannt haben und generalstabsmäßig darangegangen sind, sich diese Schwächen zunutze zu machen. Und diese Schwachstellen sind die in der Bevölkerung historisch gewachsene Intoleranz und eine nahezu irrationale Fremdenfeindlichkeit. Darauf zu setzen ist ein todsicherer Tip. Als zweites hat man sich die Art, in der in Österreich Interessentengruppen mehr oder weniger verdeckt Parteien finanzieren und damit Politik beeinflussen können, zu nutze gemacht. Wir kennen heute die Strategiepapiere, die sie erstellt haben und die unter  dem Namen “Projekt Ballhausplatz“ als minutiöse Planung der Machtübernahme publik wurden. Zu diesem Plan gehörte die bewusst inszenierte Besetzung fremdenfeindlicher Themen, die sonst nur die extreme Rechte vertrat und der Kunstgriff, diese soweit salonfähig zu machen, dass auch die gesellschaftliche Mitte ohne Argwohn mitgehen konnte. Da kam die Flüchtlingskrise natürlich gelegen.  Wir kennen auch die Finanziers dieses Unternehmens- und das ist wichtig – denn diese sind   gleichzeitig die Begünstigten, wie die Gesetzgebungsperiode unter Türkis Blau es zeigte. Was wir nicht kennen – was gänzlich fehlt, sind Utopien und Zukunftsvorstellungen oder eine gesellschaftspolitische Agenda – also die Quintessenz der Demokratie –  der sich diese  türkise Gruppe verpflichtet fühlen würde. Denn diese Leute kommen nicht mit einer neuen gesellschaftlichen Utopie oder Ideen, die das Land zu neuen Ufern führen könnte, sondern nur mit plakativen aber ansonsten nichtssagenden Wahlslogans. („Kurz, Jetzt oder nie“. bzw. “Unser Weg hat erst begonnen“. Oder:„Kurz, einer der am Boden bleibt, … der unsere Sprache spricht …usw). Nicht die wichtigen und für eine Gesellschaft bedeutende Themen  wurden angesprochen, sondern die gleichen nichtssagenden Phrasen mit denen man Kosmetika oder Waschpulver verkauft, wurden zur Basis des Wahlerfolges.*1) Kaum an der Macht wurden so rasch wie möglich die Forderungen der Unternehmen eingelöst mit 12 Stunden Tag und 60 Stunden Woche.    Ein konservativer Rückbau des Schulsystems bis hinauf zu den Hochschulen, und allenthalben Zuwendungen für Freunde und Weggefährten.  Dazu kommen einige wenige Strukturreformen in der Verwaltung und  auf Ebene der Bundesländer. Wenn nicht der politische Supergau der FPÖ dazwischen gekommen wäre, wer weiß wieviel Demokratie in Österreich jetzt noch vorhanden wäre. Insofern muss man sowohl H.C. Strache als auch der Corona-Pandemie dankbar sein, dass sie einerseits zum Untergang der Türkis-Blauen Koalition  geführt haben, und andererseits aufgezeigt wird, wie inkompetent die ganze Truppe in Wahrheit ist, wenn es darauf ankommt.    Die einzige Sonderbegabung die offensichtlich wird ist die professionelle Selbstinszenierung .                                                                                  

Wir kennen natürlich  auch die Opfer in den Reihen der alten ÖVP, die von dieser Gruppe ausgeschaltet wurden und wir kennen die betenden Säulenheiligen, die die Messer wetzten. Der Satz: „Novomatik zahlt alle“, den H.C. Strache, der Möchtegernimperator, im IBIZA Video von sich gibt, richtet sich wie ein Scheinwerfer in einem dunklen Raum auf etwas, das sich so nach und nach als eine Form der Korruption erweist, die es in Österreich mehr oder weniger immer schon gegeben hat, aber nie in diesem Ausmaß. Eine Gruppe Industrieller und Wirtschaftstreibender finanziert einen demokratisch verbrämten Staatsstreich, der es der Wirtschaft ermöglicht, über unverdächtige – weil gewählte Volksvertreter, ihre Interessen in einem Ausmaß durchzusetzen, die beispiellos sind. Die ÖVP, oder sollte man sagen ÖSP *2), die vor der Wahl fünf Millionen Euro Schulden hatte, führt einen fulminanten Wahlkampf, bei dem sie die erlaubten Wahlkampfkosten um viele Millionen überschreitet und finanzielle Probleme gibt es plötzlich nicht mehr. Wenn wir nicht annehmen wollen, dass ein Wallfahrt nach Mariazell dieses Wunder bewirkt hat, müssen die Millionen, die den Wahlsieg ermöglichten, irgendwoher gekommen sein. Aber die Quellen des plötzlichen Reichtums bleiben geheim und  vermutete Quellen wie die Novomatic werden eidesstattlich bestritten. Eine Justiz, die Spuren verfolgt und Hausdurchsuchungen veranlasst, wird plump diffamiert und schon steht auch die Zerschlagung der Korruptionsstaatsanwaltschaft im Raum. Mit Begriffen wie: Fehlerhafte Fakten – was immer das bedeuten soll – wird die Öffentlichkeit eingeseift und die Message- Control wird bis ins Lächerliche fortgesetzt. Alles wird so oft und so lange wiederholt oder bestritten und anderen in die Schuhe geschoben, bis Gras über die Sache gewachsen,  oder durch emotional bewegende Ablenkungsmanöver wie die Ausweisung eines Kindes,  aus den Medien verdrängt wird.                                                                                                          

 Bezeichnend für dieses System ist auch  der direkte Zugang zu den Schaltstellen der Macht, den Personen wie Harald Neumann*3) von Novomatic, zu den politischen Amtsträgern wie dem Finanzminister haben: Der Herr Neumann schreibt eine SMS an den Herrn Blümel, um mit ihm über Spenden und ein Problem in Italien zu sprechen und der  Gernot arrangiert es. Beamte des Finanzministeriums werden tätig, um diverse Malversationen oder nennen wir es Schwierigkeiten – es gilt die Unschuldsvermutung – die die Novomatic zu einer Steuernachzahlung in Italien zwingen würden, zu applanieren. Aus dem ganzen inzwischen bekannten Mailverkehr geht hervor, mit welcher Selbstverständlichkeit  sich eine Regierung fast ausschließlich mit den Problemen der Eliten befasst und mit welcher Unverfrorenheit sich diese Eliten direkt in die Tagespolitik der Regierung einmischen. Neumann an Blümel: „Hättest du mal Zeit für einen Kaffee, hätte einige Themen, welche ich gerne mit dir besprechen möchte.“ Oder „Hello Gernot, nach der Opernball Lady (gemeint ist Quereinsteigerin Maria Großbauer) jetzt auch (der Mathematiker Rudolf) Taschner. Der ist wirklich kein Gewinn. Haben den eine Zeitlang beschäftigt und der ist ein echter Opportunist! Das sind doch keine Experten!! Sorry für die offenen Worte aber der Oktober ist zu wichtig! lg Harald“

Es ist offensichtlich, die Res Publica ist einer von Oligarchen bestimmten und finanzierten Okkupation der Amtsgewalten gewichen. Der staunende Staatsbürger und Steuerzahler, der täglich Neues und Skandalöses über den lockeren Umgang mit seinen Steuergeldern erfährt, begreift auch so nebenbei, dass er gar nicht mehr der Souverän ist und, dass die Justiz nicht nur behindert wird, wie wir von einer betroffenen Staatsanwältin wissen, sie wird ganz offen diffamiert und, ohne dass ein Beweis dafür erbracht wird, vom Bundeskanzler persönlich ungesetzlicher Handlungen bezichtigt. Der logische nächste Schritt wird auch schon vorbereitet und mit  erfundenen Behauptungen gerechtfertigt. Die Zerschlagung der potentiell gefährlichen Strukturen der Justiz wird gefordert, denn dann kann man dort womöglich eigene Leute unterbringen.*4) Wie unglaublich skandalös und demokratiegefährdend  das ist, fällt in der Summe der Skandale gar nicht mehr ins Gewicht. All das entspricht aber letztlich dem, was im „Projekt Ballhausplatz“ bereits festgelegt wurde. Machtübernahme und Machterhalt auch mit fragwürdigen Methoden!  Eine Idee in diesen Strategiepapieren des Sebastian Kurz musste offensichtlich aus naheliegenden Gründen aufgegeben werden: „Korruption auf allen Ebenen bekämpfen“ findet sich etwa unter Punkt 43 im Dokument „Punkte für ein neues Österreich“. Der Satz ist allerdings durchgestrichen.*5)

*1)Hier muss man erwähnen, dass das Angebot der Sozialdemokraten auch nur unwesentlich differierte. Wirklich wichtige Themen werden im Wahlkampf heutzutage nicht mehr erwähnt, denn das könnte den einen oder anderen Wähler verschrecken. So bleibt alles eher vage und der Wähler hat kaum die Möglichkeit seine Wahl nach Sachthemen zu treffen sondern das Wahlverhalten wird vielfach von einer Mischung aus familiären Traditionen, persönlichen Sympathien und dem Wenigen was man trotzdem mit den Kandidaten verbinden kann, bestimmt.
So wurde die lange geplante und von Pierer geforderte Erhöhung der Tages- und Wochenarbeitszeit und andere Einschnitte im Bereich der Sozialpolitik natürlich mit keinem Wort erwähnt.

2*)Österreichische Sebastian Partei

3*)Harald Neumann , der ebenfalls als Beschuldigter bei der Staatsanwaltschaft geführt wird. ist inzwischen in Australien. Laut Neumanns Anwalt Wess hat der Australien-Aufenthalt seines Mandanten mit der Causa Blümel „überhaupt nichts zu tun“. Neumann sei „deutlich“ bevor „diese Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Vorwurf“ gegen den Finanzminister begonnen haben, nach Down Under gereist. Er stehe den Strafverfolgungsbehörden selbstverständlich im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Verfügung.

*4) Nachtrag am 26.2.2020 Wie und mit welcher Unverschämtheit die ÖVP diesen von ihr erfundenen Narrativ weiterspinnt und ihrem Klientel verkauft, zeigt Folgendes: Am 25.2. werden dem ehemaligen Innenminister Wolfgang Brandstetter und dem Sektionschef Christian Pilnacek jeweils Handys bzw. Laptops von der Staatsanwaltschaft Wien abgenommen. Es geht offenbar in beiden Fällen um den Verdacht der Verletzung des Amtsgeheimnisses im Zusammenhang mit dem Heumarkt-Hochhaus. Sofort springt Justizsprecherin Michaela Steinacker in die Bresche und lamentiert öffentlichkeitswirksam, das sei schon wieder ein schwerer Fehler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Was sie übersieht oder bewusst nicht erwähnt — die hat damit gar nichts zu tun. Es ist die Staatsanwaltschaft Wien, die das veranlasst und dafür wohl gute Gründe hat. Das könnte man jetzt so stehen lassen, würde nicht am 26. 2., also einen Tag später, von Markus Ebert in der Parteizeitung O.Ö. Volksblatt das ganze noch einmal aufgekocht und mit einem unverdächtigen Zeugen ausgestattet, nämlich Georg Krakow, der selbst ehemaliger Staatsanwalt und Mitglied von Transparency International sei. Er mutmaßt die WKStA könnte das Amtsgeheimnis verletzt haben“. Dass er Böhmdorfers Rechtsvertreter in dieser Sache ist und damit schlicht und einfach nicht wie behauptet „unverdächtig“, wird erst im Nachsatz gesagt, aber die WKStA, die mit der Sache nichts zu tun hat, wird angegriffen: Originalzitat: „Ob Zufall, Methode oder Schlamperei: In Sachen Öffentlichkeitsarbeit fällt es zunehmend schwer der WKStA die „Unschuldsvermutung“ zu gewähren“.

Diese Vorgangsweise nennt nennt man wohl „falsche Fakten“ verbreiten….

*5) „Projekt Ballhausplatz“ – FALTER 38/17 – FALTER.at

Über türkise Liste – Neumann/Blümel: Weitere Chats veröffentlicht | krone.at

Veröffentlichte Chats zwischen Blümel und Novomatic-Vorstand belasten den ÖVP-Finanzminister (kontrast.at)

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